Dienstag, 31. Mai 2011

Kader und Funktionäre gegen Bürger

Auf Spiegel Online findet sich heute ein Artikel über Umfragen, die jenen Mut machen dürften, die unseren überbordenden Parteienstaat gern entmachtet sähen:
SPD-Chef Gabriel und Generalsekretärin Nahles bekommen Unterstützung für ihre Vorschläge zur Parteireform: Anders als die Parteimitglieder finden viele SPD-Wähler eine öffentliche Kanzlerkandidatenkür gut.
Nach einer am Dienstag veröffentlichten Umfrage im Auftrag von "Zeit Online" befürworten 84 Prozent der SPD-Anhänger eine öffentliche Kanzlerkandidatenkür.
Die Idee, dass diese Reformen kontrovers seien, begrenzt sich also ausschließlich auf jenen Kreis von Kadern und Funktionären, der durch ein Mehr an Demokratie und Transparenz seine Felle davonschwimmen sähe. Dagegen scheinen diese Ideen für die Anhängerschaft der Partei “no-brainer” zu sein.

Und auch die Anhängerschaften der anderen Parteien scheinen die Nase voll zu haben, von den napoleonischen Selbstausrufungen von Parteifunktionären und Parteiführung, ob nun beim Frühstück in Wolfratshausen oder anderswo.
Wie die Umfrage weiter ergab, sind es unter den Wählern der Union 67 Prozent, die eine öffentliche Kanzlerkandidatenkür befürworteten, bei den FDP-Wählern 70 Prozent und bei denen der Grünen 71 Prozent.
Eine solide Mehrheit bei den Anhängern aller großen Parteien in Deutschland, jenseits der 2/3 Grenze, spricht sich für mehr Demokratie aus, als der professionelle Politbetrieb bereit ist ihnen zu offerieren. Wenn das mal kein Grund ist stolz auf dieses Land und seine Bürgerschaft zu sein.

Dienstag, 24. Mai 2011

Macht die SPD etwa ernst?

Es sieht ganz so aus. Auf FAZ.Net finden sich sowohl ein Artikel, als auch ein Kommentar zur angestrebten Parteireform Gabriels, die etablieren soll den Kanzlerkandidaten der SPD in Zukunft durch Vorwahlen zu küren und zwar nicht nur durch die Parteimitgliedschaft (was an sich bereits ein Fortschritt wäre), sondern auch durch Sympathisanten und Anhänger der Partei.

Vielleicht müssen wir uns hier also für vorschnelle Resignation im Hinblick auf das sozialdemokratische Reformprojekt für mehr Demokratie entschuldigen. So wie sich der Artikel liest ist es Gabriel mit einer institutionellen Reform seiner Partei tatsächlich ernst:
Frau Nahles will ihren Entwurf am kommenden Montag im Parteivorstand als Diskussionsgrundlage vorstellen. Im Herbst plant sie, gemeinsam mit dem Parteivorsitzenden Gabriel, mit dem sie den Entwurf abgestimmt habe, ihre Vorschläge auf einer Tour durch die Parteigliederungen zu diskutieren. Auf dem Bundesparteitag im Dezember in Berlin sollen die Ergebnisse beschlossen werden.
Frau Nahles hob hervor, dass sie beides anstrebe: Die Möglichkeit neuer Beteiligungsformen für Nicht-Mitglieder bei Vorwahlen auf unterschiedlichen Ebenen, aber auch die Stärkung der Mitgliederrechte durch die Ausweitung des Mitgliederentscheides über Sachfragen auf alle Parteigliederungen. Wahlen für Parteiämter sollen weiterhin Mitgliedern vorbehalten sein.
Aber natürlich steht nicht alles zum besten. Die Funktionäre bangen um ihre Macht und bekannte Spieler in unserem Intrigantenstadl, wie Johannes Kahrs, fürchten bereits die desinfizierende Wirkung von Sonnenlicht und Transparenz:
Der Vorsitzende des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, Kahrs, sagte dieser Zeitung, der Vorschlag sei „Unsinn“. Es gehe darum, die SPD als Mitgliederpartei zu stärken „und nicht in dem Streben nach einer eingebildeten Modernität eine Amerikanisierung zu betreiben“.
Auch der Vorsitzende der Jungsozialisten, Vogt, äußerte sich skeptisch: Entscheidend sei zunächst, ein vernünftiges Programm zu entwickeln. „Anschließend geht es darum, einen Kandidaten zu finden, der auch wirklich zum Programm passt“, sagte er der „Leipziger Volkszeitung“. Er bezweifle, dass eine Direktwahl des Kanzlerkandidaten funktionieren könnte, sagte Vogt.
Der gute, alte Programm-Köder. Die Sache ist nur, dass es letztlich nichts nützt, wenn man in einer Partei über das Programm entscheiden darf, aber dann nicht die Mittel hat, um zu kontrollieren, ob das politische Personal dieses Programm auch umsetzt. Was nützt z.B. dass im Unionsprogramm noch immer das Merzsche Steuermodell steht, wenn die Parteifunktionäre ständig eine Kanzlerkandidatin küren, die dies ignoriert? Personal- gegen Programm-Hoheit auszuspielen ist ein durchsichtiges Manöver der Kader, die darauf aus sind, ihre eigene Machtbasis zu erhalten. Man stelle sich vor: Am Ende hat so ein gewichtiger Funktionär nicht mehr darüber zu sagen, wer Kanzlerkandidat wird, als ein einfaches Parteimitglied oder ein bloßer Sympathisant. Wo kämen wir denn da hin?

Spin(n)er der Woche

Was darf man da auf Spiegel Online über den amerikanischen Präsidenten lesen?


Seine Hautfarbe macht der US-Präsident selten zum Thema.
Dass Obama mit dem Versprechen antrat, seine Präsidentschaft würde den Eintritt in eine post-rassische Gesellschaft bedeuten ist schon wahr. Nur ist dabei, wie bei vielen Versprechen Obamas, nicht viel herausgekommen. Ganz im Gegenteil, werden die politischen Gegner des US-Präsidenten, sogar von diesem selbst, heute exzessiver denn je, als Rassisten bezeichnet, auch wenn die Differenzen, die sie mit dem Präsidenten haben, rein politischer Natur sind und Themen wie z.B. die Gesundheitspolitik betreffen.

Dies ist allerdings nicht der typische Fall von Unkenntnis oder gezielter Desinformation, die die Berichterstattung deutscher Medien über die Vereinigten Staaten sonst prägt, sondern etwas mit dem die Deutschen selbst bereits ihre eigenen Erfahrungen gemacht haben. Wir reden hier immerhin von jenem Präsidenten, der es für angemessen hielt seine eigene Person und insbesondere seine ethnische Identität, in die Video-Botschaft zum 20jährigen Jubiläum des Falls der Berliner Mauer einzubringen:
Few would have foreseen ... that a united Germany would be led by a woman from Brandenburg or that their American ally would be led by a man of African descent.
Wenige hätten vorhergesehen … dass ein vereintes Deutschland von einer Frau aus Brandenburg geführt werden würde und ihr amerikanischer Alliierter von einem Mann afrikanischer Abstammung.
Was das mit dem Fall der Berliner Mauer zu tun haben soll, ein Ereignis das ihm scheinbar nicht wichtig genug war, um dessen Jubiläumsfeier persönlich beizuwohnen, bleibt das Geheimnis des Präsidenten. Aber wenigstens war es wichtig genug, um in Relation zu seiner eigenen Biographie gesetzt zu werden. Was für eine Ehre für das deutsche Volk. Wir haben auch andere Gründe ihm dankbar zu sein, wüssten wir hier in der alten Welt doch kaum, wie ein Schwarzer eigentlich aussieht, wenn es nicht den amerikanischen Präsidenten gäbe. Dementsprechend ließ er uns in seiner Berliner Rede wissen:
I know that I don’t look like the Americans who’ve previously spoken in this great city. … My mother was born in the heartland of America, but my father grew up herding goats in Kenya.
Ich weiß, dass ich nicht aussehe wie Amerikaner, die in dieser großen Stadt vor mir sprachen. … Meine Mutter wurde im Herzen Amerikas geboren, doch mein Vater wurde als Ziegenhirte in Kenya groß.
Man muss dem amerikanischen Präsidenten natürlich dankbar für die Aufklärungsversuche am Berliner Hinterwäldler sein, sollte sich allerdings den Hinweis nicht verkneifen, dass so mancher unserer Mitbürger durchaus etwas mit den Namen Colin Powel und Condoleeza Rice anfangen kann. Danke Herr Präsident, aber wir haben durchaus schon vor Ihnen schwarze Amerikaner gesehen. Wie der Spiegel so selbstbezogenen und vor allem ethnisch selbstbezogenen Person, zur oben zitierten Tatsachenaussage kommt, bleibt wohl das Geheimnis der Redaktion.

Dienstag, 17. Mai 2011

Die “Demokratie” in “Sozialdemokratie” - Ein potemkinscher Versuch

Ich war seiner Zeit äußerst erstaunt darüber den Sozialdemokraten auf die Schulter klopfen zu müssen, da der damals noch recht neue Vorsitzende Gabriel tatsächlich in Erwägung zog, den Kanzlerkandidaten der SPD per Vorwahl zu bestimmen:

Ich finde die Idee der französischen Sozialisten spannend: Bei der Aufstellung ihres Präsidentschaftskandidaten sollen nicht nur die Parteimitglieder abstimmen können, sondern auch Sympathisanten, Wähler und Wahlhelfer. ... Ich kann mir das auch in Deutschland vorstellen, wenn es mehrere Bewerber gibt.

Wie wir wissen ist das so eine Sache mit der Ursache und der Wirkung. Es finden sich natürlich immer mehr Interessierte für solche Ämter, wenn fest steht, dass die Kandidatur in einem transparenten Wettbewerb entschieden wird, statt durch die Hinterzimmer und Kungeleien der Parteihierarchien. Doch diese Gedankengänge scheinen vergebens, muss man doch auf FAZ.Net in den vergangenen Tagen lesen:

Wenn Steinbrück nun in einem Hörfunkgespräch im Hessischen Rundfunk – und zwar nicht „live“, sondern in einer Aufzeichnung – Umstände und Bedingungen der Nominierung des künftigen SPD-Kanzlerkandidaten darlegt, tut er das nicht ohne Absicht. Der Zeitpunkt also werde kommen, sagte er, an dem er sich „mit zwei oder drei“ Führungspersönlichkeiten der SPD zusammensetze und mit ihnen über die Kanzlerkandidatur rede.

Da Steinbrück derzeit nicht selbst über ein Führungsamt in der SPD verfügt, also nicht zu denen gehört, die die Auswahl zu treffen haben, kann diese Anmerkung nichts anderes bedeuten als die Versicherung: Wenn ich gefragt würde, und die Umstände stimmten, bin ich bereit. Nicht ein Jahr ist es her, dass er genau dies – jedenfalls öffentlich – für sich ausgeschlossen hat.

Ach so, wir sind also doch wieder an dem Punkt angelangt, an dem sich die Parteimächtigen zusammensetzen und darüber befinden wer vielleicht Kanzler werden darf, ja? Die Reaktion Gabriels scheint dies zu bestätigen:

In dem Bemühen darum, als Herr des Nominierungsverfahrens des SPD-Kanzlerkandidaten zu erscheinen, hat der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel am Montag mitgeteilt, er werde seiner Partei zur Person und zum Verfahren rechtzeitig einen Vorschlag machen.

Zu Person und Verfahren? Hat sich Gabriel, denn nicht bereits für ein Verfahren ausgesprochen, dessen ganzer Sinn es ist, die Auswahl der Person nicht zu seiner Angelegenheit zu machen? Was damit allerdings auch gemeint sein könnte ist, dass Gabriel die Personen auswählt, die sich dann dem "Verfahren" einer Vorwahl stellen. Eigentlich würde dieses Verfahren potemkinscher Demokratie sogar in unsere Bananenrepublik passen, lässt es doch einen der heiligsten Glaubenssätze des Parteienstaats unangetastet:

Der Vorsitzende hat das erste Zugriffsrecht.

Diese Erklärung würde sowohl Gabriels Äußerungen zur Vorwahl der französischen Sozialisten, wie auch seine jetzigen Verlautbarungen, nach denen Person und Verfahren in Sachen Kanzlerkandidatur seine Angelegenheit sind, unter einen Hut bringen. Dies würde wiederum auch erklären, weshalb sich die Funktionäre in der SPD vor allem über Steinbrücks "Selbstproklamation" erregen:

Gabriel, berichten Vertraute, sei nur über den Umstand unglücklich, dass Steinbrück öffentlich über die Verabredung des Trios gesprochen habe. Dies hatte nämlich Generalsekretärin Andrea Nahles und den Chef der Parteilinken, Björn Böhning, zu Kritik veranlasst. In der Partei wurde allerdings registriert, dass sich beider Kritik nicht an der Person Steinbrück, sondern nur an der vermeintlichen Selbstproklamation festmachte.

Im Originaltext gaben die beiden allweisen, wie linkischen Jungfunktionäre laut Spiegel zu Protokoll:

"Selbstausrufungen sind in einer modernen demokratischen Partei wie der SPD aus der Mode gekommen", sagte Generalsekretärin Andrea Nahles dem "Tagesspiegel". "Debatten um Kanzlerkandidaten bewegen nur die Zeitungen, aber sie bewegen die Menschen nicht", sagte der Sprecher der SPD-Linken, Björn Böhning.

Ach ja, die "Menschen". Also, als ich das letzte mal nachsah, qualifizierte ich auch noch als solcher und mir ist es nicht egal, wer letztlich als Regierungschef meines Landes endet. Wie abgehoben muss man sein, um zu glauben, dass das die "Menschen" nicht kümmere, oder "bewegt"? Typisch linker Autoritarismus, der Bürger, dummes politisches Mündel das er ist, soll sich lieber die Sozialstaatswohltaten anschauen, die wir ihm anbieten, statt sich mit Fragen zu befassen, die ihn nichts angehen, sondern Sache seiner politischen Vormünder sind. Ja und es gibt trotzdem unerklärlicherweise noch Leute in diesem Land, die glauben, dass es sie etwas angeht, von wem sie regiert werden.

Nahles Äußerungen zur Selbstproklamation sind einfach nur noch absurd. Wenn die SPD tatsächlich eine moderne demokratische Partei ist, dann wird sie diese Frage natürlich in einem offenen demokratischen Wettbewerb klären und um an diesem teilzunehmen, müsste man sich natürlich selbst zum Wettbewerber proklamieren. Was die Vergangenheit angeht war das Problem nicht, dass sich die Kandidaten selbst proklamierten, sondern dass die öffentlichen Ämter wie ein Goodie, wie ein Begrüßungsbonus an Parteiämtern klebten. Lafontain hat beispielsweise nicht sich selbst zum Kanzlerkandidaten proklamiert, sonder Schröder, aber das macht das Ganze deshalb nicht demokratischer. Ebensowenig war die Kungelei am Schwielowsee, über die dann auch noch Kurt Beck stürzte, demokratisch. Nicht Selbstproklamationen sind das Problem, sondern der oben genannte Glaubenssatz des Parteienstaates.

Ich befürchtete schon als Gabriel diese Idee äußerte, dass sie nicht aufgrund eines geläuterten demokratischen Bewusstseins entstand:

Vorwahlen sind zweifelsohne ein Schritt in die richtige Richtung, allerdings wird das Instrument der Vorwahl, als Kontrollinstrument der Bürger gegenüber ihren politischen Eliten sinnlos, wenn dieses Instrument nur dann zum Einsatz kommt, falls die politische Elite entscheidet, dass ihr dies genehm ist, weil es die richtige Publicity bringt. Jemand dem die Demokratie und die Souveränität des Bürgers am Herzen liegt, wird in nächster Zeit darauf achten, ob Gabriel die Sache der Vorwahlen vor allem auf Pressekonferenzen und in Presse-Erklärungen vertritt oder ob er es tatsächlich ernst meint und die Satzung der SPD so verändert, dass Vorwahlen zur Regel werden und nicht die verräterische Ausnahme bilden.

Und es wird vermutlich die werbewirksame Ausnahme bleiben. Wenn man sich die SPD Funktionäre anhört, sorgen sie sich um "Selbstproklamationen", da Personen und Verfahren Sache des Parteivorsitzenden bleiben sollen. Was letztlich heißt, dass die Deutschen sich glücklich schätzen können, eine Auswahl zwischen all den Kandidaten treffen zu dürfen, die Gabriel und dem Rest der Parteiführung genehm sind. Die Iraner dürfen im Moment auch von Listen wählen, auf denen nur Politiker stehen, die dem Klerus genehm sind, aber vermutlich ist der Iran in Frau Nahles Augen auch eine "lupenreine" oder "moderne Demokratie".