Dienstag, 17. Mai 2011

Die “Demokratie” in “Sozialdemokratie” - Ein potemkinscher Versuch

Ich war seiner Zeit äußerst erstaunt darüber den Sozialdemokraten auf die Schulter klopfen zu müssen, da der damals noch recht neue Vorsitzende Gabriel tatsächlich in Erwägung zog, den Kanzlerkandidaten der SPD per Vorwahl zu bestimmen:

Ich finde die Idee der französischen Sozialisten spannend: Bei der Aufstellung ihres Präsidentschaftskandidaten sollen nicht nur die Parteimitglieder abstimmen können, sondern auch Sympathisanten, Wähler und Wahlhelfer. ... Ich kann mir das auch in Deutschland vorstellen, wenn es mehrere Bewerber gibt.

Wie wir wissen ist das so eine Sache mit der Ursache und der Wirkung. Es finden sich natürlich immer mehr Interessierte für solche Ämter, wenn fest steht, dass die Kandidatur in einem transparenten Wettbewerb entschieden wird, statt durch die Hinterzimmer und Kungeleien der Parteihierarchien. Doch diese Gedankengänge scheinen vergebens, muss man doch auf FAZ.Net in den vergangenen Tagen lesen:

Wenn Steinbrück nun in einem Hörfunkgespräch im Hessischen Rundfunk – und zwar nicht „live“, sondern in einer Aufzeichnung – Umstände und Bedingungen der Nominierung des künftigen SPD-Kanzlerkandidaten darlegt, tut er das nicht ohne Absicht. Der Zeitpunkt also werde kommen, sagte er, an dem er sich „mit zwei oder drei“ Führungspersönlichkeiten der SPD zusammensetze und mit ihnen über die Kanzlerkandidatur rede.

Da Steinbrück derzeit nicht selbst über ein Führungsamt in der SPD verfügt, also nicht zu denen gehört, die die Auswahl zu treffen haben, kann diese Anmerkung nichts anderes bedeuten als die Versicherung: Wenn ich gefragt würde, und die Umstände stimmten, bin ich bereit. Nicht ein Jahr ist es her, dass er genau dies – jedenfalls öffentlich – für sich ausgeschlossen hat.

Ach so, wir sind also doch wieder an dem Punkt angelangt, an dem sich die Parteimächtigen zusammensetzen und darüber befinden wer vielleicht Kanzler werden darf, ja? Die Reaktion Gabriels scheint dies zu bestätigen:

In dem Bemühen darum, als Herr des Nominierungsverfahrens des SPD-Kanzlerkandidaten zu erscheinen, hat der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel am Montag mitgeteilt, er werde seiner Partei zur Person und zum Verfahren rechtzeitig einen Vorschlag machen.

Zu Person und Verfahren? Hat sich Gabriel, denn nicht bereits für ein Verfahren ausgesprochen, dessen ganzer Sinn es ist, die Auswahl der Person nicht zu seiner Angelegenheit zu machen? Was damit allerdings auch gemeint sein könnte ist, dass Gabriel die Personen auswählt, die sich dann dem "Verfahren" einer Vorwahl stellen. Eigentlich würde dieses Verfahren potemkinscher Demokratie sogar in unsere Bananenrepublik passen, lässt es doch einen der heiligsten Glaubenssätze des Parteienstaats unangetastet:

Der Vorsitzende hat das erste Zugriffsrecht.

Diese Erklärung würde sowohl Gabriels Äußerungen zur Vorwahl der französischen Sozialisten, wie auch seine jetzigen Verlautbarungen, nach denen Person und Verfahren in Sachen Kanzlerkandidatur seine Angelegenheit sind, unter einen Hut bringen. Dies würde wiederum auch erklären, weshalb sich die Funktionäre in der SPD vor allem über Steinbrücks "Selbstproklamation" erregen:

Gabriel, berichten Vertraute, sei nur über den Umstand unglücklich, dass Steinbrück öffentlich über die Verabredung des Trios gesprochen habe. Dies hatte nämlich Generalsekretärin Andrea Nahles und den Chef der Parteilinken, Björn Böhning, zu Kritik veranlasst. In der Partei wurde allerdings registriert, dass sich beider Kritik nicht an der Person Steinbrück, sondern nur an der vermeintlichen Selbstproklamation festmachte.

Im Originaltext gaben die beiden allweisen, wie linkischen Jungfunktionäre laut Spiegel zu Protokoll:

"Selbstausrufungen sind in einer modernen demokratischen Partei wie der SPD aus der Mode gekommen", sagte Generalsekretärin Andrea Nahles dem "Tagesspiegel". "Debatten um Kanzlerkandidaten bewegen nur die Zeitungen, aber sie bewegen die Menschen nicht", sagte der Sprecher der SPD-Linken, Björn Böhning.

Ach ja, die "Menschen". Also, als ich das letzte mal nachsah, qualifizierte ich auch noch als solcher und mir ist es nicht egal, wer letztlich als Regierungschef meines Landes endet. Wie abgehoben muss man sein, um zu glauben, dass das die "Menschen" nicht kümmere, oder "bewegt"? Typisch linker Autoritarismus, der Bürger, dummes politisches Mündel das er ist, soll sich lieber die Sozialstaatswohltaten anschauen, die wir ihm anbieten, statt sich mit Fragen zu befassen, die ihn nichts angehen, sondern Sache seiner politischen Vormünder sind. Ja und es gibt trotzdem unerklärlicherweise noch Leute in diesem Land, die glauben, dass es sie etwas angeht, von wem sie regiert werden.

Nahles Äußerungen zur Selbstproklamation sind einfach nur noch absurd. Wenn die SPD tatsächlich eine moderne demokratische Partei ist, dann wird sie diese Frage natürlich in einem offenen demokratischen Wettbewerb klären und um an diesem teilzunehmen, müsste man sich natürlich selbst zum Wettbewerber proklamieren. Was die Vergangenheit angeht war das Problem nicht, dass sich die Kandidaten selbst proklamierten, sondern dass die öffentlichen Ämter wie ein Goodie, wie ein Begrüßungsbonus an Parteiämtern klebten. Lafontain hat beispielsweise nicht sich selbst zum Kanzlerkandidaten proklamiert, sonder Schröder, aber das macht das Ganze deshalb nicht demokratischer. Ebensowenig war die Kungelei am Schwielowsee, über die dann auch noch Kurt Beck stürzte, demokratisch. Nicht Selbstproklamationen sind das Problem, sondern der oben genannte Glaubenssatz des Parteienstaates.

Ich befürchtete schon als Gabriel diese Idee äußerte, dass sie nicht aufgrund eines geläuterten demokratischen Bewusstseins entstand:

Vorwahlen sind zweifelsohne ein Schritt in die richtige Richtung, allerdings wird das Instrument der Vorwahl, als Kontrollinstrument der Bürger gegenüber ihren politischen Eliten sinnlos, wenn dieses Instrument nur dann zum Einsatz kommt, falls die politische Elite entscheidet, dass ihr dies genehm ist, weil es die richtige Publicity bringt. Jemand dem die Demokratie und die Souveränität des Bürgers am Herzen liegt, wird in nächster Zeit darauf achten, ob Gabriel die Sache der Vorwahlen vor allem auf Pressekonferenzen und in Presse-Erklärungen vertritt oder ob er es tatsächlich ernst meint und die Satzung der SPD so verändert, dass Vorwahlen zur Regel werden und nicht die verräterische Ausnahme bilden.

Und es wird vermutlich die werbewirksame Ausnahme bleiben. Wenn man sich die SPD Funktionäre anhört, sorgen sie sich um "Selbstproklamationen", da Personen und Verfahren Sache des Parteivorsitzenden bleiben sollen. Was letztlich heißt, dass die Deutschen sich glücklich schätzen können, eine Auswahl zwischen all den Kandidaten treffen zu dürfen, die Gabriel und dem Rest der Parteiführung genehm sind. Die Iraner dürfen im Moment auch von Listen wählen, auf denen nur Politiker stehen, die dem Klerus genehm sind, aber vermutlich ist der Iran in Frau Nahles Augen auch eine "lupenreine" oder "moderne Demokratie".

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