Mittwoch, 25. August 2010

Die Partei, die Partei, die hat immer recht...

Wir sprechen heute über eine gute und eine schlechte Idee aus den Reihen der Sozialdemokraten. Nur leider stellt die schlechte Idee die Ernsthaftigkeit der guten Idee in Frage. Zuerst zur guten Idee: Sigmar Gabriel, Parteivorsitzender der SPD, plant die Kanzlerkandidatur zur nächsten Bundestagswahl durch Vorwahlen festzulegen und sagt dem Stern dazu:
Ich finde die Idee der französischen Sozialisten spannend: Bei der Aufstellung ihres Präsidentschaftskandidaten sollen nicht nur die Parteimitglieder abstimmen können, sondern auch Sympathisanten, Wähler und Wahlhelfer. ... Ich kann mir das auch in Deutschland vorstellen, wenn es mehrere Bewerber gibt.
Es sind natürlich die Amerikaner, die mit ihren Primaries bereits seit langem, in vielen Staaten (nicht allen), nicht nur Parteimitglieder, sondern auch den Parteien nahestehende Bürger ohne Parteibuch an die Wahlurnen holen und Vorbild für die  Wahlen der französischen Sozialisten waren, aber dass die Europäer das Erbe der amerikanischen Revolution meiden, wie die Teufel das Weihwasser-Badehaus ist ja auch nichts neues. Wieso sich an einer mehr als 200 jährigen kontinuierlichen Verfassungstradition orientieren, wenn man dem Gemetzel der französischen Revolution und der Tradition der politischen Instabilität, die diese hervorgebracht hat, nacheifern kann.
Und genau das ist eine der zwei Fragen, die dieses Unterfangen aufwirft: Wie stabil ist diese Geschichte? Oder ist sie nur ein Werbegag? Gabriels Plan ist ja nicht das erste Unterfangen seiner Art in der Bundesrepublik, wenn auch das erste auf Bundesebene. Als Hamburger erinnert man sich natürlich an die desaströse Urwahl der SPD in Hamburg, die scheiterte, weil gut 1/3 der abgegebenen Stimmen gestohlen wurden. Woraufhin man zur üblichen Prozedur zurückkehrte und der sozialdemokratische Einflußling Olaf Scholz, den ehemaligen Kulturstaatsminister und Zeit-Publizisten Michael Naumann als Kandidaten aus dem Hut zauberte. Ein Christdemokrat mag sich an dieser Stelle an die Vorwahl 2004 in Baden-Württemberg erinnern, in der sich Günther Oettinger gegen Anette Schavan durchsetzte. Allerdings wurde Oettingers Nachfolger, als Oettinger gen Brüssel gelobt wurde, Stefan Mappus, ohne Vorwahl bestimmt.

Vorwahlen sind zweifelsohne ein Schritt in die richtige Richtung, allerdings wird das Instrument der Vorwahl, als Kontrollinstrument der Bürger gegenüber ihren politischen Eliten sinnlos, wenn dieses Instrument nur dann zum Einsatz kommt, falls die politische Elite entscheidet, dass ihr dies genehm ist, weil es die richtige Publicity bringt. Jemand dem die Demokratie und die Souveränität des Bürgers am Herzen liegt, wird in nächster Zeit darauf achten, ob Gabriel die Sache der Vorwahlen vor allem auf Pressekonferenzen und in Presse-Erklärungen vertritt oder ob er es tatsächlich ernst meint und die Satzung der SPD so verändert, dass Vorwahlen zur Regel werden und nicht die verräterische Ausnahme bilden.  

Die zweite Frage die aufgeworfen wird, betrifft die oben angesprochene schlechte Idee der Sozialdemokraten: Nämlich Thilo Sarrazin aus der Partei zu schmeißen. Der berliner Ex-Senator sorgte mal wieder mit einem Interview, wie auch mit einem neuen Buch für aufsehen. Von Marketing versteht er eben etwas.

Aber abgesehen davon ist die Reaktion eben jenes Sigmar Gabriel, dem es vorhin noch um innerparteiliche Demokratie ging, mehr als bezeichnend: Das Sarrazin die Kultur der angesprochenen Einwanderer kritisiert, d.h. ihre ererbten und befolgten Normen und Verhaltensweisen, unter die dann auch ihr Verhältnis zur Bildung fällt, ist keine Position, die in Sozialdemokratische Hirne passt: Wer Einwanderer kritisiert muss Rassist sein! Wer so denkt will mit Sicherheit keine "intellektuelle Debatte" über die Zuwanderung.

Wolfgang Clement ereilte seinerzeit fast das Schicksal des großen Tritts in das politische Gesäß, weil er es wagte die Kandidatin der eigenen Partei für ein öffentliches Amt, nicht für die Idealbesetzung zu halten. Es ist in den kleinen Glaubensgemeinschaften, die die deutschen Parteien sind, eben Häresie vom Dogma des "der Kandidat mit unserem Parteibuch ist in jedem Fall, zu jeder Zeit und für jedes Amt der bessere und der richtige Kandidat" abzuweichen. Stechschritt ist angesagt und sonst droht das Parteigericht! (Nein die totalitäre Sprache fällt inzwischen niemandem mehr auf.) In den USA ist es selbstverständlich, dass Joe Lieberman von den Demokraten nicht nur den Republikaner John McCain zur Wahl empfiehlt, sondern auch für ihn Wahlkampf macht oder dass Bushs Ex-Außenminister Colin Powell den Demokraten Obama zu Wahl empfiehlt. Niemand würde deshalb auf die Idee kommen einen von beiden aus der Partei zu kicken, aber in Deutschland gilt eben: "Tausche Gewissen, Hirn und eigene Meinung gegen Parteibuch!"

Eine amerikanische Partei ist allerdings auch nur dazu da, Kandidaten für Öffentliche Ämter erst auszusuchen (Vorwahlen) und dann zu vertreten (Wahlkampf um das öffentliche Amt), während deutsche Parteien Glaubensgemeinschaften sind, um deren Parteiprogramme mehr Aufhebens gemacht wird, als um die Kandidaturen der Personen, die letztlich entscheiden, was von jenen Programmen umgesetzt wird und was wohlmöglich nicht. Eine solche deutsche Partei, deren eigentlicher Sinn ein bestimmtes Bekenntnis, eine Ideologie ist, wird natürlich abweichenden Positionen nicht viel Toleranz entgegenbringen, während eine amerikanische Partei, deren Zweck die demokratische Auswahl der Kandidaten für öffentliche Ämter ist, den Individuen ihre programmatische Souveränität und ihre Gewissensfreiheit läßt und in der Mehrheiten dann durch Ämterverwehrung und Ämtergewährung entscheiden, welche Ansichten akzeptabel sind und welche nicht. Ironisch ist dabei, dass das amerikanische System der unideologischen Parteien zu einem lebhafteren Wettbewerb von Ideen führt, während die deutschen Parteien versuchen Ideen zu verwalten und festzulegen und dabei nur Friedhofsruhe und unverhohlene Marketinglerei produzieren. Welche Meinungen ein Politrenter vertritt der keine Ämter mehr anstrebt, also überhaupt nicht zur Wahl steht, ist nur für eine Partei deutschen Typus' relevant.  

Aber genau da liegt das andere Problem: Wenn die Sozialdemokratie Sarrazin wie seinerzeit Clement aus der Partei schmeißt, weil diese beiden in bestimmten Fragen eine von der Parteilinie differierende Position vertreten, wieso veranstaltet man dann überhaupt noch Vorwahlen, wenn die bei den Säuberungen von Andersgläubigen, Übrigbleibenden ohnehin im Gleichschritt denken? (Eine "Demokratie" in der nur antreten darf, wer Ideen vertritt die, die Obrigkeit nicht für gefährlich hält, ist eigentlich die Art von "Demokratie" die die Iraner im Rahmen ihrer "Islamischen Republik" gerade praktizieren.) Vorwahlen sind meiner Meinung nach eine wichtige Institution, um zu gewährleisten, dass nicht nur staatliche Institutionen, sondern auch die Parteien und deren Personal sich nicht zu weit von den Bürgerinnen und Bürgern oder auch nur der eigenen Basis entfernen. Sie sind jedoch nur dann sinnvoll, wenn sie nicht als isolierte Institution in einem System vorkommen, in dem ansonsten alles andere auf die Repression anderer Meinungen (möglicherweise Mehrheitsmeinungen von Bürgern oder Basis) und der Entscheidungsgewalt des Bürgers ausgerichtet ist.

Wieviel Sinn macht z.B. die Vor- also Direktwahl zum Kanzlerkandidaten, wenn danach keine Direktwahl zum Kanzler stattfindet? Oder keine Vorwahlen oder Direktwahl zum Abgeordneten, der diesen Kandidaten dann am Ende zum Kanzler wählt?

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