Freitag, 20. August 2010

Demokratie, Partei und Exekutive

Die CDU ist momentan von einer personalpolitischen Bilanz gezeichnet, für die, die Bezeichnung "Brandrodung" noch ein Euphemismus wäre: Die prominentesten und profiliertesten Ministerpräsidenten (was dies im Falle der Union auch immer heißen mag) sind der Partei abhanden gekommen: Roland Koch wird am 31. August von seinem Amt als hessischer Ministerpräsident zurücktreten und als CDU-Vize nicht wieder antreten, Ole von Beust wird sein Amt als Erster Bürgermeister und Präsident des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg zum 25. August niederlegen, Jürgen Rüttgers wurde nach den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen vom 9. Mai diesen Jahres von Hannelore Kraft in der Feilscherei um das Ministerpräsidentenamt ausgebootet und Christian Wulff ließ sich durch die Wahl zum Bundespräsidenten den Niederungen der politischen Arena unserer Bundesrepublik entheben.
Die FAZ Online interviewt, sozusagen als vorgezogenen Nachruf auf eine politische Karriere, Ole von Beust zu den (nach Ansicht der Journalisten) signifikanten Ereignissen seiner Bürgermeisterschaft, wie auch zu seinem Rücktritt:

FAZ: Am 8. Juli haben Sie gesagt: Ich bin nicht amtsmüde. Am 18. Juli haben Sie Ihren Rücktritt angekündigt. War das Erste nur Politikergeschwätz, oder was ist zwischendurch passiert?
von Beust: Das mag vielleicht schwer nachzuvollziehen sein, aber ich hatte schon länger darüber nachgedacht, bei der Bürgerschaftswahl im Jahr 2012 nicht wieder anzutreten. Die konkrete und endgültige Entscheidung habe ich aber erst in der Woche getroffen, in der ich meinen Rücktritt erklärt habe. Und damit war dann auch die Entscheidung gefallen, jetzt mein Amt niederzulegen.
Auch wenn Herr von Beust diesen Unterschied nicht berücksichtigt, gibt es eben einen selbigen zwischen einem Rücktritt und zu einer Wahl nicht wieder anzutreten und dieser Unterschied betrifft u.a. auch die demokratische Legitimität seines Nachfolgers als Regierungschef, die in unserer Republik nicht vom Bürger ausgeht. Mitten in der Legislaturperiode zurückzutreten und einem Nachfolger das Amt zu überlassen den ausschließlich Parteibuchträger bestimmen ist etwas anderes als am Ende der eigenen Amtszeit nicht wieder anzutreten, so dass sich der Nachfolger tatsächlich um das Mandat der Bürger bemühen muss, als Spitzenkandidat seiner Partei wenigstens indirekt. Mitten in der Legislatur zu gehen und dem demokratisch unlegitimierten Nachfolger eine halbe Legislaturperiode zuzugestehen, weil sich das Amt des Regierungschefs gut als Werbeplattform eignet, degradiert die öffentlichen Ämter unserer Republik zu Wahllehen der Parteiaristokratien. 


Dies ist keine parteipolitische Kritik, ist also keine Kritik die sich ausschließlich gegen die CDU wendet, die hier nur im Mittelpunkt steht, weil sie das aktuellste Material zu dem Problem liefert, dass hier behandelt werden soll. Auch ist es keine juristische Kritik, da all die beanstandeten Vorgänge keinesfalls grundgesetzwidrig sind. Genau dies ist jedoch das Problem: Wir leben in einer Verfassungsordnung, die die öffentlichen Institutionen der Republik den Parteien unterordnet. Das Problem ist, dass die Exekutiven, die Regierungen in der Bundesrepublik Deutschland, sowohl auf Landes- wie auf Bundesebene, nicht Sache der Bürger sind, sondern Sache der Parteien.

Außer Jürgern Rüttgers (und auch er wurde eher aus dem Amt verhandelt, denn abgewählt) ist keiner der oben genannten Ministerpräsidenten durch das Votum der Bürger aus dem Amt geschieden und außer im Falle Nordrhein-Westfalens werden die anderen 3 Bundesländer nun von Ministerpräsidenten regiert, die bei der vorangehenden Wahl nicht als Spitzenkandidaten zur Debatte standen. Sie wurden ganz nach belieben der Parteien bzw. der Parteispitzen auf Landesebene gekrönt.

Die amtierende Thüringische Ministerpräsidentin, Christine Lieberknecht, ersetzte den als amtierenden Ministerpräsidenten und Spitzenkandidaten eigentlich zur Wahl stehenden Peter Althaus bereits 8 Wochen nach der Landtagswahl, nur legitimiert durch das Parteipräsidium der thüringischen CDU.

Ole von Beust ist aufgrund seiner persönlichen Popularität ein besonders signifikanter Fall: In Hamburgischen CDU-Kreisen wird geschätzt, dass 1/3 der CDU-Wähler, in den für die Partei erfolgreichen Bürgerschaftswahlen des zuende gehenden Jahrzehnts, eigentlich Ole-Wähler sind. Die Partei plakatierte entsprechend: "Michel, Alster, Ole". Wie legitim ist eine Regierung, die gewählt wurde, weil sie den eigenen Spitzenmann zum politischen Wahrzeichen verklärte, ohne diesen Spitzenmann?

Die Legitimitätsfrage ist die entscheidende: Ist es legitim, dass Hannelore Kraft 2010 und Ole von Beust 2001 die Regierung bilden, obwohl beide Spitzenkandidaten nicht das höchste Wahlergebnis für ihre Parteien einfuhren? Beide argumentieren selbstverständlich bejahend, während ihre jeweiligen Gegner (Jürgen Rüttgers/ Ortwin Runde) dies verneinen. Wo der Zugang zur Macht auf dem Spiel steht kommt den Parteien jede kohärente Position und jedes demokratische Prinzip abhanden, geradezu ein Wachstumsprogramm für Politikverdruß durch Heuchelei. Die Legitimitätsfrage der Regierungsbildung kann nicht von jenen Parteien ehrlich beantwortet werden, die ein inhärentes Interesse an einer von vornherein feststehenden Antwort haben.

Selbstverständlich kommen unsere Regierungen formal durch die Wahl innerhalb der Parlamente zustande. Doch dies ist letztlich nur das Abnicken und Hinterherlegitimieren von Verhandlungsergebnissen, die von Delegationen der Parteispitzen bei Sondierungsgesprächen und Koalitionsverhandlungen erzielt wurden und selbst dabei spielt das Parlament nur die zweite Geige nach den Parteitagen. Auch wenn diese zweite Geige dann spielen darf, geschieht dies nur unter der Dirigentschaft der Fraktionen, der parlamentarischen Arme der Parteizentralen, notfalls eben auch mit Druck. Sollte dieser auf Kaperung der Exekutive ausgerichtete Prozeß tatsächlich einmal aufgehalten werden, (siehe das Karriere-Ende der Heide Simonis) ist dies Stoff  für die Legenden der bundesrepublikanischen Geschichte.

Entsprechend dem Zustandekommen wird in solchen Exekutiven dann auch regiert: Über die sogenannte "Richtlinienkompetenz" des Bundeskanzlers können sowohl Politologen, wie auch praktizierende Politiker nur noch lachen. Regiert wird die Bundesrepublik durch den "Koalitionsausschuß", indem Vertreter der an der Regierung beteiligten Parteien sitzen und einen Konsens erarbeiten, der den Fortbestand der Koalition garantiert. Es ist von vielen (u.a. auch Helmut Schmidt) erwähnt worden, dass die Richtlinienkompetenz eine Illusion sei, da kein Koalitionspartner sich Inhalte in streitigen Fragen durch diese Kompetenz aufzwingen lassen würde, sondern einfach die Koalition verließe. Der vom Grundgesetz privilegierte Parteienstaat macht also nicht nur die eigene Spitzenkandidatur zur Farce, sondern das Königsrecht des Bundeskanzleramts gleich mit dazu.

Die Lösung für all diese Probleme ist eigentlich offensichtlich: Eine ernsthafte Gewaltenteilung und dies bedeutet für die Bundesrepublik u.a. die Direktwahl der Ministerpräsidenten und Bundeskanzler samt ihrer Stellvertreter.

- Regierungschefs hätten tatsächlich die Richtlinienkompetenz, da sie nicht durch eine Koalition von Parteien ins Amt kämen, sondern durch die Zustimmung der Bürger zu ihren Programmen.

- Ein solcher Kopf der Exekutive könnte ohne Koalition und Koalitionsvertrag regieren und die Mehrheiten für seine Anliegen von Fall zu Fall im Parlament zusammenwerben.

- Das Kabinett eines solchen Regierungschefs wäre vermutlich weniger von Parteipolitik und Regionalproporz gezeichnet.

- Klare Beantwortung der Legitimitätsfrage der Regierung selbst bei undeutlichen Mehrheiten im Parlament.

- Bei Ausscheiden aus ihrer Position, würde der Nachfolger bereits über demokratische Legitimität verfügen, wenn man ihn als Vize mit dem eigentlichen Kandidaten zusammen wählt.

- Die bisherigen Auflösungen der Parlamente waren immer Ergebnis der ungesunden gegenseitigen Abhängigkeit von Legislative und Exekutive und somit könnten wir uns einer politischen Praxis entledigen, die stets mit der unappetitlichen Biegung des Grundgesetzes einher ging.

Unsere Verfassungsordnung an dieser Stelle zu korrigieren, würde dem Wort des Bürgers mehr Gewicht geben und einige der erheblichen Mängel, unter denen die Demokratie in der Bundesrepublik leidet, beheben. Die neugewonnene Distanz von Parlamenten zur Regierung könnte dazu führen, dass Abgeordnete die Regierung ernsthafter kontrollieren, da sie nicht mehr für deren Zustandekommen und Bestand verantwortlich sind. Eine saubere Gewaltenteilung und mehr Demokratie würden zu stärkeren und bürgernäheren Regierungen führen. Leider ist keiner einzigen Partei des deutschen Parteienstaates so sehr an diesen Werten gelegen, dass sie dafür Klüngelei, Macht und Kontrolle aufgeben würde.

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