Donnerstag, 15. Oktober 2009

Ist Merkel schuld?

Die Junge Union schafft es dieser Tage in die Schlagzeilen von faz.net und Spiegel Online, durch Forderungen, deren Formulierung man nach der Bundestagswahl eher von den Jusos erwartet hätte: Ein Antrag auf dem Deutschlandtag der JU fordert "unverzüglich einen Bundesparteitag einzuberufen", um die unbefriedigenden Wahlergebnisse zu debattieren.

Die JU läutet damit vermutlich jenen Prozeß ein, den die Medien mit "Seelensuche" bezeichnen, womit der Konflikt zwischen konkretem Regierungshandeln und dessen Ergebnissen im Vergleich zur Weltanschauung und Ideologie der entsprechenden Partei gemeint ist. Die Merkel-Jahre sind für viele Konservative in der Tat Jahre der Zumutungen gewesen, auch wenn sie diese anders handhaben als die Linken in der SPD: Die Familienpolitik von der Leyens gilt als sozialdemokratisch, die Kompromisse mit der SPD auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik als zu weitgehend und der Wahlkampf als unscharf und apologetisch. Großer Ärger entstand bei konservativen Katholiken durch Merkels Mahnungen in Richtung Vatikan, während der Debatte um die Pius-Brüderschaft.

Zunächst sollte man die Wahlergebnisse der Union einmal historisch einordnen: Abgesehen von 2 Ausnahmen (dem "Willy"-Wahlkampf 1972 und dem "stoppt Strauß" Wahlkampf 1980) gilt eigentlich, seit dem Antritt der sozial-liberalen Koalition (und seit Kohls Amtsantritt ausnahmslos), dass die Kanzlerpartei ab dem Zeitpunkt der Regierungsübernahme mit jeder Bundestagswahl Stimmenanteile verliert. Helmut Kohl verlor nach seiner ersten Legislaturperiode 4% und selbst mit der deutschen Einheit im Rücken verlor die Union bei der Bundestagswahl 1990 im Vergleich zu 1987 noch Stimmenanteile.

Vor diesem Hintergrund erscheint der Verlust, den die Union 2009 im Vergleich zu 2005 erlitt marginal und die traditionelle Wahlkampfstrategie der Union, als vernünftigere Sozialdemokratie zu erscheinen, um für breite Schichten wählbar zu werden und dann mit einer deutlich marktwirtschaftlicheren FDP koalieren zu können, ging wie unter Kohl nun auch unter Merkels Führung auf. 620.000 Wähler die 2005 der SPD ihre Stimme gaben wechselten zu CDU/CSU, wärend die Union rund 1.000.000 Stimmen sowohl an die FDP wie auch an die Nichtwähler verlor (5). Die Union erreichte dadurch ihre wichtigsten Wahlziele: Sie stellt die stärkste Fraktion im Bundestag (wenn auch auf niedrigem Zweitstimmenniveau) und kann die große Koalition zugunsten einer Koalition mit dem Wunschpartner FDP beenden.

Die Merkelkritiker vernachlässigen nicht nur, dass es ein bemerkenswerter Erfolg ist innerhalb eines 5-Parteiensystems noch eine kleine Koalition bilden zu können, sondern verkennen auch die (bedauerliche) weltanschauliche Situation in Deutschland: Die Deutschen sind augenblicklich kein marktwirtschaftlich orientiertes Volk. Dies hat sowohl mit unseren volkswirtschaftlich eher korporatistischen Traditionen (deren Träger auch die Union seit Adenauer war), wie auch mit unserem leider wenig gelungenen Gundgesetz und dem schlicht verrückten Wahlrecht zu tun. Der Union in einer solchen Umgebung den marktwirtschaftlichen Kurs von 2005 zu empfehlen, also praktisch mit dem Kopf gegen diese Mauern zu rennen, hieße die Partei zu großer Koalition oder Opposition zu verdammen.

In den USA sieht diese weltanschauliche Situation gänzlich anders aus (trotz oder gerade wegen der Obama-Administration): Dort organisieren breite Netzwerke von Aktivisten durch verschiedene Medien, Organisationen, Think Tanks und um die republikanische Partei herum die konservative Bewegung der USA. Wenn man sich die Geschichte des amerikanischen Konservatismus vor Augen führt wird deutlich, dass die Präsidentschaft Reagans nicht der Beginn des Aufbaus eines amerikanischen Konservatismus' war, sondern viel eher dessen Abschluß. Man kann den Aktivismus von Konservativen wie William F. Buckley, der 1955 die National Review gründete, die zu einer zentralen Publikation des amerikanischen Konservatismus werden sollte und es bis heute ist, und seine TV-Sendung Firing Line, mit nichts in Deutschland vergleichen. Bis dieses Engagement in der Reagan-Administration seine Vollendung fand musste man sich mit republikanischen Präsidenten wie Nixon und Ford zufrieden geben.

Die Jahrzehnte währenden Debatten über die Medienkonzentration die man der "Springer-Presse" vorwarf, muten geradezu lächerlich an, wenn man sich anschaut, wie linksgerichtet und obrigkeitsstaatlich unsere Republik bis heute noch geprägt ist, nicht zuletzt auch durch die verschiedenen linksgerichteten Medien (Spiegel, Stern, Zeit, Süddeutsche, taz, Tagesspiegel,Frankfurter Rundschau usw.). Das ein Gegengewicht fehlt hat in erster Linie nichts mit Frau Merkel zu tun, sondern mit der Art des Konservatismus, der in der Union seit den Tagen Adenauers gepflegt wird und die nicht wesentlich weniger obrigkeitsstaatlich ist, als die Sozialdemokratie (in diesem Sinne ist Merkel sogar Traditionswahrerin des alten Unions-Konservatismus).

Maggi Thatcher führte die programmatische Unschärfe der christdemokratischen Parteien Kontinentaleuropas im ersten Teil ihrer Autobiographien (Die Erinnerungen 1925-1979) auf den Mangel einer starken, weltlichen mitte-rechts Tradition zurück. In der Tat kann man den Eindruck bekommen, dass die Union, wenn es um den Konflikt eines neuen Feminismus mit dem Islam geht und die politische Linke so plan- wie hilflos daneben steht, durch ihre veralteten Feindbilder und programmatischen Begriffe gesellschaftlich nicht mehr Koalitionsfähig ist. Frauen wie Necla Kelek und Thea Dorn bekunden öffentlich ihre Nähe zu den bürgerlichen Parteien, doch keine der Parteien greift dies auf. Alice Schwarzer lobt die Kanzlerin bei jeder Gelegenheit öffentlich über den Klee und hat was ihre Kritik am Multi-Kult angeht, wie auch ihr Engagement gegen die Pornographie, längst den Boden der politischen Linken verlassen, trifft aber auf bürgerliche Parteien die so unbeweglich sind, dass sie nicht mehr in der Lage sind neue ideologische Millieus aufzunehmen.

Wenn das Land konservativer werden soll, dann müssen sich die Konservativen klarer darüber werden, was in einer Republik an weltlichen Werten bewahrt werden soll, das christliche Menschenbild ist hierbei als programmatische Grundlage allein unzureichend, vermutlich sogar hinderlich. Ein konservativer Republikanismus, der auch vor populistischen Haltungen nicht zurückschreckt und konfliktfähig ist wo diese Werte bedroht sind, könnte nicht nur Wähler, sondern auch Aktivisten anlocken, die die Union dringend zu ihrer Erneuerung braucht. Dieser programmatischen Reform steht jedoch nicht Merkel im Weg, sondern die ausgedienten Botschaften der alten Unions-Millieus und ihres ebenso alten Konsenses. Konservativer wird das Land nur, wenn der Konservative sich ändert und erst nachdem sich das Land ändert, erhält es einen Regierungschef, der dies widerspiegelt. Um Maggi Thatcher noch einmal zu zitieren: "First you win the argument, then you win the vote".

Bis dahin ist ein apologetisches Schwarz-Gelb, von einer Pragmatikerin geführt, das beste was für dieses Land erreicht werden kann.
Bis auf den letzten Punkt teile ich alle diese Bedenken, die in der Partei im Moment eine große Rolle spielen, jedoch glaube ich kaum, dass jene, die vor allem in der Kanzlerin die Ursache der Probleme ausgemacht haben, die Situation adäquat erfassen: Leserkommentatoren auf Welt.de, pi-news, und faz.net, sowie mitte-rechts Blogs, wie dem von Gudrun Eussner rücken Merkel ideolgisch in die Nähe des Sozialismus und begründen dies nicht selten mir ihrer DDR-Sozialisierung. Ich halte dies für falsch.

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