Dienstag, 21. September 2010

Konservatismus und Establishment

Auf Spiegel Online findet sich heute der Artikel "Herzschmerz bei der CDU" des Politologen Ernst Langguth, der die angeblich aufkommende "Konservatismus-Debatte" in der christdemokratischen Partei behandelt. Dass die CDU mit ihrem konservativen Klientel seit Jahren ein Problem hat, sollte bereits des öfteren in Debatten erörtert werden, wie z.B. im Jahre 2007, als sich eine Gruppe christdemokratischer Jungspunde (Stefan Mappus, Markus Söder, Philipp Mißfelder und Hendrik Wüst) in einem Cafe ("Einstein") einfand und Thesen zur CDU Programmatik zusammenkritzelte. Wie es bei der Union eben so mit Programmatik ist, war das ganze eine eher peinliche Geschichte. Ich zitiere mal den ersten Absatz:
I. Warum die Diskussion über das Bürgerlich-Konservative notwendig ist

 Liberal, sozial und bürgerlich-konservativ - das sind die Wurzeln der Union. Die Union kann nur erfolgreich sein, wenn sie diese drei geistig-politischen Grundlagen ihrer Politik gleichwertig herausarbeitet und vermittelt. In der öffentlichen Wahrnehmung ist das bürgerlich-konservative Element aber in den Hintergrund getreten, weil die große Koalition zu vielen Kompromissen zwingt. Eine sichtbare Akzentuierung auch ihrer bürgerlich-konservativen Wurzel ist aber für die Mehrheitsfähigkeit der Union von zentraler Bedeutung. Nur mit einem klaren Profil, das bürgerlichem und konservativem Denken eine Heimat gibt, kann die Union ihr Wählerpotenzial voll ausschöpfen. Schließlich ist das Bürgerlich-Konservative das wesentliche Alleinstellungsmerkmal der Union. Dadurch unterscheidet sie sich von allen anderen Parteien.
Mehr muss man über dieses Papier eigentlich nicht wissen. Die angeblich jungen, wilden Konservativen in der Union finden sich zusammen und machen sich die Mühe ihre politischen Gedanken zusammenzuschreiben, nicht weil sie Konservative sind, die von der Richtigkeit und Notwendigkeit konservativer Ideen und Reformen überzeugt sind, sondern weil der Partei die konservativen Wähler in Scharen abhanden kommen. Sie schreiben dieses Positionspapier nicht als bekennende Konservative, als politisch Überzeugte, sondern als Apparatchicks, die die Interessen ihrer Parteibürokratie sichern.
Bei derartig gesinnten Verantwortungsträgern ist es nicht verwunderlich, wenn die Union nach den Kriterien, die Langguth als prototypisch konservative Positionen aufstellt konsequent versagt:

Rolle der Nation: Die CDU profilierte sich von Adenauer bis Kohl als "Europapartei" - und betont dennoch immer die besondere Rolle der Nation.
Was eine Partei "betont" und was sie politisch in die Tat umsetzt, sind zwei Paar Schuhe, von denen das letztere wohl das gewichtigere sein dürfte. Was für eine Rolle spielt denn der Begriff der souveränen Nation heute noch für die CDU? In Sonntagsreden den Patriotismus raushängen zu lassen und Wochentags von Früh bis Spät für die Staatswerdung der Europäischen Union, Kompetenztransfers nach Brüssel und den Abbau unserer Republik zu arbeiten qualifiziert wohl nur schwerlich als konservativ.  

Westbindung: Diese war für die Identität der Union im Nachkriegsdeutschland besonders wichtig. Europäische Integration und das Verteidigungsbündnis der Nato sollten den Deutschen Schutz vor einem "sowjetischen Imperialismus" geben. Keine Partei zeigt auch heute noch eine solche Nähe zum atlantischen Bündnispartner USA wie die CDU.
Das atlantische Bündnis liegt seit der Kanzlerschaft Schröders faktisch in Trümmern und die populistische Stimmung, die er gegen die offensive Außenpolitik der USA geschürt hat, hält an. Niemand in der Union thematisiert den Krieg gegen den Jihadismus über rein polizeiliche Aufgaben hinaus, als große nächste Aufgabe des atlantischen Bündnisses. Dies ist selbst im eher unglücklich geführten kalten Krieg undenkbar gewesen, die Union war damals eine Institution des bundesrepublikanischen Antikommunismus, man wusste noch wie man die Bürger um die eigene Flagge versammelt. In Sachen Afghanistan-Einsatz setzt man auf Stillhaltetaktik, selbst der grüne Ex-Außenminister Fischer plädiert für eine aktivere Rolle und warnt davor, dass wenn die Kriegslasten weiter so unausgeglichen verteilt werden, das Bündnis gefährdet sein könnte. Auch bei diesem Punkt gibt es in der CDU weit und breit nichts zu sehen, das man eventuell für Konservatismus halten könnte. 

Bundeswehr: Von allen im Bundestag vertretenen Parteien ist die CDU diejenige, die besonders konsequent die Notwendigkeit einer Landesverteidigung betont.
Die Bundesrepublik wendet im Jahre 2008, d.h. im dritten Jahr der Kanzlerschaft Merkels, 1,3% des Bruttoinlandsprodukts für den Verteidigungshaushalt auf. Ein sattes Prozent weniger als die Franzosen und Briten, ca 2% weniger als die Russen und ca 3% weniger als die Amerikaner.

Europäische Leitkultur: Im CDU-Grundsatzprogramm wird von einer "europäischen Leitkultur" gesprochen, und die Union erhebt die Forderung nach Festschreibung der deutschen Sprache als Amts- und Schulsprache - für die Konservativen sind diese Signale der Abgrenzung gegen einen fundamentalen Islam besonders wichtig.
Eine wirklich konservative Partei würde sich durch Politiker auszeichnen die nicht jeder Mode folgen und etwas neues in die Verfassung kritzeln. Sobald Kultur staatliche Rechtsmittel zur Durchsetzung benötigt ist dies ein Zeichen von Schwäche und von mangelnder Attraktivität, vielleicht ausgehend von der eigenen Haltung zu jener Kultur. An dieser Stelle hilft Patriotismus, aber kein Verfassungsartikel.

Innere Sicherheit: Es war - trotz der zeitweiligen Ministertätigkeit Otto Schilys - bislang ein Alleinstellungsmerkmal der Union, dass sie für eine konsequente Bekämpfung der Gefährdung der inneren Sicherheit eintrat.
Die Frage ist, was da im Inneren gesichert wird. Auf derartige Polizei-Einsätze können Konservative sicherlich getrost verzichten. Wie auch auf Innenminister, die trotz der Trennung von religiösen Institutionen und Staat ihre Zeit auf "Islam-Konferenzen" verplempern.
Bei den Punkten Bildungspolitik und Familienpolitik betont Langguth selbst, dass die Union sich von den Konservativen distanziert. Selbstverständlich scheint es für den Professor zu sein, dass er die CDU bei der Frage der Marktwirtschaft de facto in die sozialdemokratische Ecke stellt. Nicht von Langguth angesprochen werden Themen wie Gewaltenteilung und Föderalismus, bei denen die Unionsparteien nur graduell weniger zentralistische Positionen verteten, als die linken Parteien in Deutschland.  

Also selbst an den ziemlich schwammigen, eher an typischen CDU Traditionen, als an einen programmatischen Konservatismus angelehnten, Kriterien des Gerd Langguth gemessen, schneidet die Partei miserabel ab. Daran wird eines der grundsätzlichen, systembedingten Probleme in unserem Land deutlich: Im bundesrepublikanischen Model sind die Parteiapparate Träger und Verwalter der Ideen. Es gibt außerhalb der Union keine konservative Bewegung, keine Institutionen oder Medien, die eine von den Organisationsinteressen des CDU-Apparats unabhängige, konservative Programmatik entwickeln, an denen die Leistungen der Partei, die beansprucht konservative Wähler zu repräsentieren, wirklich gemessen werde könnte.
Anders sieht es dagegen in den USA aus, wo Parteien nur dazu da sind Kandidaturen für öffentliche Ämter, für die Institutionen der Republik zu organisieren. Die Partei dient in den USA dem demokratischen Prozess, sie ist nicht dessen Kern. Deshalb sind die Konservativen in den USA nicht darauf angewiesen, dass ein Haufen Jung-Apparatchicks aus dem Partei-Establishment ihnen politische Brotkrumen zuwerfen, sondern sie werden im Rahmen öffentlich zugänglicher Wahl von Konservativen innerhalb und außerhalb der Partei einfach abgewählt.
Gerade die Teaparties haben dafür gesorgt, dass nach links ausfallende Vertreter des republikanischen Establishments (und solche gibt es auch im CDU Establishment zur genüge) im Rahmen der üblichen Vorwahlen für Kandidaturen zum Amt des Governors, für Senats- und Repräsentantenhaussitze auf Bundes- und Staatsebene zum Teufel gejagt werden.

  • In einem der konservativsten Staaten der USA, in Utah, verlor z.B. Senator Bob Bennett, nach 3 Legislaturperioden, also 18 Jahren im Senat der Vereinigten Staaten, die Vorwahlen zur Kandidatur.
  • In Florida, dem nach Population viertgrößten Staat der USA, waren die Umfragen des amtierenden republikanischen Governors Charlie Crist, der eher als Mann der Mitte bekannt ist, in den Vorwahlen zur Nominierung als Senatskandidaten der Partei derartig schlecht, dass er die Vorwahlen aufgab und nun als parteiloser Kandidat gegen den Kandidaten der Demokraten und den Kandidaten seiner ehemaligen Partei, Marco Rubio, antritt.
  • In Alaska verlor Senatorin Lisa Murkowski die Vorwahlen der Republikaner. Sie wurde 2002 von ihrem Vater, Frank Murkowski, für den Senatssitz nominiert, nachdem dieser zum Governor Alaskas gewählt wurde und in dieser Funktion zu entscheiden hatte, wer seinen frei werdenden Sitz als Senator einnimmt. Murkowskis Reaktion war der von Charlie Crist sehr ähnlich und so verkündete sie am Freitag, dass sie eine "write in campaign" startet.
  • In Delaware verlor der moderate Mike Castle, der einzige Abgeordnete des kleinen Staates im Repräsentantenhaus und damit der einzige Republikaner, der in jüngster Zeit eine staatsweite Wahl gewann, ebenfalls die Vorwahlen zur Nominierung als Senatskandidat gegen die deutlich konservativere und kontroversere Christine O'Donnell.
Hätten wir in Deutschland ein System, in dem das Personal der Parteien Sache der Bürger wäre und die Programmatik der Parteien tatsächlich Ergebnis eines demokratischen Prozesses wäre, dann würde sich das konservative Klientel der Unionsparteien nicht in die Nichtwählerschaft zurückziehen, sondern würde in einem solchen Rahmen aktiv die Linksabweichler unter den Christdemokraten, vielleicht sogar die Kanzlerin selbst, aussortieren können. Stattdessen haben wir ein System, in dem die Partei-Eliten sich praktisch die Kandidaturen durch Selbstakklamation aneignen:  
  • CDU Parteivorsitzende Angela Merkel wurde im Mai 2005 durch eine gemeinsame Sitzung der Parteipräsidien von CDU und CSU, also durch eine Versammlung von nicht einmal 40 Leuten zur Kandidatin erklärt.
  • Ministerpräsident Edmund Stoiber erlangte seine Kandidatur im Jahre 2002 durch das berühmte "Wolfatshauser Frühstück" mit Angela Merkel. Beteiligte an dieser Entscheidung: 2
  • Ministerpräsident Gerhard Schröder wurde 1998 von Lafontaine die Kandidatur zugestanden, nachdem ersterer in der niedersächsischen Landtagswahl die absolute Mehrheit holte. Ich vermute mal, dass dieses Kriterium nirgendwo beschlossen wurde.
  • Außenminister Frank Walter Steinmeier wurde zum Kanzlerkandidaten durch die Absprache mit Franz Müntefering und Kurt Beck, einem Prozeß in dessen Rahmen letzterer dann noch als Parteivorsitzender gestürzt wurde.

Wie sollen sich Konservative, deren Vertreter unter CDU Eliten in Wahrheit immer dünn gesät waren, in einem Parteisystem durchsetzen, bei denen Kandidaturen zu öffentlichen Ämtern und damit der eigentlich politische Einfluss, von Hinterzimmerklüngeleien eben jener Elite abhängen? Die CDU Spitze, insbesondere Frau Merkel, hat kein aufrichtiges Interesse daran, den Konservativen wirklich Einfluss zukommen zu lassen. 

Das die jetzige Koalition, über 2013 hinaus bestand haben wird, ist äußerst unwahrscheinlich und die Bundeskanzlerin ist sicherlich nicht erpicht auf eine neue große Koalition. Hamburg und dem Saarland nachstrebend wird Merkel versuchen die Grünen mit ins Boot zu ziehen. Das Jamaika-Bündnis würde innerhalb des neuen 5-Parteien-Systems nicht nur eine stabilere Grundlage bieten, sondern würde der SPD auch ihren traditionellen Partner nehmen. Der CDU wäre vermutlich eine lange Periode als Kanzlerpartei gesichert.

Doch was bliebe auf der Strecke? Nichts würde die Grünen von einem solchen Bündnis eher zurückschrecken lassen, als eine vitale Rechte innerhalb der CDU, die sich inhaltlich gegenüber den Grünen nicht nur antithetisch verhielte, sondern auch viele der "Errungenschaften" der Merkelschen "Modernisierung" der Partei eventuell rückgängig machen könnte. Wie wir bereits deutlich machten sind diese inhaltlichen Erwägungen gegenüber dem strategischen Organisationsinteresse der Partei und ihrer Karrieristen allerdings höchstens zweitrangig. Wer braucht konservative CDUler wenn er von Grünen zum Kanzler gewählt werden kann? Partei-Eliten verwalten, klüngeln und kartellisieren verschiedenste Gruppen, auch über Parteigrenzen hinaus, Koalitionsfähigkeit (auch in den Augen ideologischer Gegner) ist wichtiger als inhaltliche Überzeugung, um den Zugang zur Macht zu sichern. Was die Mehrheit denkt ist in einem solchen System der Elitenherrschaft und des politischen Materialismus irrelevant, die Integration zur "Mitte" hin ist ein determinierter Prozess, bis sich die Parteien nicht mehr unterscheiden und deshalb wird die CDU ihr Konservatismus-Problem niemals lösen.       

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